"Ich kann schneller reiten, als jedes Pferd rennen kann."

Umgekehrte Psychologie.

Ja, das hat mal irgendein berühmter Pferdemensch gesagt. Ich weiß leider nicht, wer's war.

Warum ich das unter die Mental-Spalte schiebe?

Weil ich finde, dass das der Satz ist, der das typische Beispiel für unser Fehl-Denken auf gute und natürliche Weise lösen kann.

Durchgehen ist glaube ich eins der am weitesten verbreiteten Problemen beim Reiten.

Die meisten Reiter machen bei einem Pferd, was Anstalten macht, durchzugehen, genau das, was total kontraproduktiv ist: Sie klammern und versuchen wortwörtlich mit allen Mitteln (schärfere Gebisse etc.) das Pferd daran zu hindern.

Es gibt da so einen netten Satz von Parelli der lautet "Mach deine Idee zu seiner Idee!"

Gemeint ist, dass ich das Pferd bitte, z. B. durch einen Engpass zu gehen. Wenn es rückwärtsgeht oder am Engpass vorbei will, wird es durch den Stick daran gehindert.

Bis es irgendwann merkt, dass es den Comfort bekommt, sobald es durch den Engpass geht. Das Pferd muss überlegen und kommt irgendwann selbst auf die Idee, das auszuprobieren, auch wenns nicht das angenehmste ist.

 

Den Satz kann man auch umdrehen: "Mach seine Idee zu deiner Idee!"

Umgekehrte Psychologie.

Das Resultat wird langfristig dasselbe sein: Das Pferd achtet auf die Signale des Menschen weil es weiß, dass das am angenehmsten ist.

 

Das Beispiel Durchgehen: Das Pferd macht da grad was, was wir überhaupt nicht wollen. Wir wissen, dass Pferde immer Comfort suchen. Deshalb machen wir dem Pferd hier am besten Stress, damit es irgendwann auf die Idee kommt, dass eine andere Lösungsmöglichkeit den Comfort bringt.

Aber wie machen wir dem Pferd hier Stress, damit es merkt "Hmm, ich mache zwar grad, was ich zuerst wollte, aber angenehm ist das irgendwie nicht!"?

Es geht doch grad schon durch.

Eben, und das machen wir uns hier dann zu nutze.

Der essentielle Gedanke ist "Du willst laufen? Okay, dann lauf, aber richtig!"

Sprich, in der Situation des Durchgehens lassen wir das Pferd laufen. Sobald es langsamer wird, sagen wir "Ähäh, du wolltest laufen, also lauf auch!" und treiben es weiter. Wir lassen es die ganze Zeit schneller und länger laufen, als es eigentlich wollte und machen ihm seinen Grundgedanken damit total blöd, weil das ja viel anstrengender ist, als es sich das Rumlaufen und den Menschen nicht mehr als Leittier zu akzeptieren, vorgestellt hat.

 

EDIT, weil ich mittlerweile desöfteren gefragt wurde: Macht das bitte nur, wenn es völlig wurscht ist, wohin das Pferd rennt, also auf dem Platz oder in der Halle. Wenn ihr im Gelände seid und euch passiert sowas, muss einfach der Notzügel herhalten (früh genug anwenden, weil das Pferd sonst anfängt sich festzumachen und man sonst nicht mehr durchkommt). Macht das NIE NIE NIE, wenn im Umkreis von 50 Kilometern (ja, wirklich) menschliche Zivilisation vorhanden sein könnte. Die könnte nämlich nicht nur die Gefahr einer Straße, sondern auch die eines nichtsahnenden Spaziergängers, denn dann mal eben vom Hotti umgerannt wird, bereithalten.

 

Wenn man sich einem neuen Pferd zu ersten mal nähert (so würd ichs auf jeden Fall machen), hab ichs erstmal nicht am Halfter, sondern es frei in der Halle rumstehen.

Ich versuche dann erstmal, dass es mir folgt. Wenn es dann mal abhaut, dann lass ich es, aber sobald es z. B. ausm Trab in den Schritt durchparieren will, treib ich es wieder in den Trab - und mach ihm so das Nicht-bei-mir-sein unbequem.

 

Das darf man bitte auf keinen keinen Fall mit dem Join Up vergleichen oder verwechseln. Das ist ein totaler Unterschied. Beim Join Up treibe ich mein Pferd grundlos und permanent und unter unfairen Bedingungen, diesen ersten Kontakt praktiziere ich gerne mit viel Platz, damit das Pferd sich in keinster Weise eingeengt fühlt, weder von mir noch von der Umgebung und mir durch Ausbrechen mitteilen kann, wenn ich grad viel zu viel Druck gemacht hab oder dass es grad einfach keine Lust hat.

 

Sobald ich dem Pferd das, was es gerade tut, total unbequem gemacht hab, wird es sich höchstwahrscheinlich einem neuen Vorschlag, der Entspannung bedeutet, gerne anschließen. Zum Beispiel durchparieren oder zu mir kommen... ;-)

 

Ein anderes Beispiel habe ich letztens auf unserem Außenplatz erlebt, wo ein Einsteller-Mädchen eine junge Stute geritten ist. Die war wohl sehr triebig und ist am Ausgang immer durchpariert und war nur schwer wieder anzutreiben.

Das Mädchen wollte das Durchparieren immer wieder durch Erneutes Antreiben verhindern, hat aber nie geklappt. Nach ein paar Minuten hat sie mir erzählt, dass die Stute das wohl erst seit Kurzem macht und sie nicht wisse, wie sie sie feiner bekommt, da sie am Boden wohl ganz anders reagiere.

 

Ich hab ihr dann vorgeschlagen, die Stute ein paar Schritte rückwärtstreten zu lassen, sobald sie von selbst durchpariert. Das Mädchen hat erst komisch geguckt, aber dann hab ich ihr das Prinzip der umgekehrten Psychologie erklärt.

Sobald die Stute durchpariert, bietet sie eine Rückwärtsbewegung an. Damit drückt sie aus, dass ihr das grad viel eher liegt, als weiter vorwärts zu laufen. Wenn der Mensch dann die Idee des Pferdes aufnimmt und sie weiterführt, sprich, in diesem Fall daraus eine richtige Rückwärtsbewegung macht, ist das oft mehr, als das Pferd eigentlich im Sinn hatte. Richtig rückwärtslaufen, mit Last auf der Hinterhandund in einem Zweitakt, ist sehr viel anstrengender als auf die Vorhand zu platschen und rumzubummeln.

Wenn das Pferd merkt, dass der Mensch einfach viel zu motiviert ist und seine Ideen immer viel zu toll findet und im Endeffekt immer mehr fordert, wird das Pferd irgendwann auf die Idee kommen, mal die Bitte des Menschen anzuhören und in den meisten Fällen nimmt das Pferd dieses Angebot, was dann eben meistens dem Gegenteil von dem entspricht, was das Pferd eigentlich vorhatte, freudig an.

 

Nach ein paar Malen ging sie schon weitaus bereitwilliger vorwärts und kurz danach hörte die Stute auf, am Ausgang stehen zu bleiben, und trabte daran vorbei, ohne langsamer zu werden.

 

Diese umgekehrte Psychologie fordert nicht nur Flexibilität und manchmal Mut, sondern wieder einmal ein Überwinden unseres instinktiven Verhaltens. Aufgrund unserer verkümmerten Jäger-Instinkte haben wir ein totales Kontrollbedürfnis und auch Greifbedürfnis. Da dem Pferd seine Idee unbequem zu machen, weil es zwar auch zum Kumpel laufen darf oder immer wieder zum Ausgang der Halle, dann aber trotzdem weiterlaufen muss und nicht beim Kumpel stehenbleiben oder aus der Halle raus darf (Passenger Game), kostet viele daher mindestens soviel Überwindung, wie ihr Pferd einfach mal bei geöffneter Hallentür ohne Seilkontakt in der Halle rumstehen zu lassen.

 

Was bei den Pferden durch die umgekehrte Psychologie hauptsächlich hängenbleibt, ist, dass die Ideen des Menschen irgendwie immer stressfreier und entspannter sind als die eigenen. Das hat zur Konsequenz, dass uns das Pferd in Zukunft noch dreimal besser zuhört.

 

Ein Schlüsselerlebnis war der Sturz (naja, eher etwas unglückliche Absprung) von dem Mädchen letzte Woche beim Passenger Game bei uns: Sie hat einfach die Panik durch den Kontrollverlust überrannt und wollte dann abspringen. Hat sie auch geschafft, nur nicht so sanft.

Sie hätte von ihrer Balance her locker draufbleiben können. Und anstatt sich einfach in der Mähne festzukrallen und zu sagen "Ok, dann lauf mal schön, aber richtig und so lange ich das sage!" hat sie versucht, die Kontrolle wieder zu bekommen.

Mich hätte das auch unglaublich viel Überwindung gekostet.

Aber dieses Wissen, dass ich eigentlich weiß, wie ich sowas lösen könnte, gibt mir dann doch wieder Mut, sowas in geeigneter Situation zu "testen". ;-)

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